(Aus der Reihe : Womit wir uns umgeben)
Tim Raue ist einer der besten, wenn nicht zurzeit der eine beste Sternekoch Deutschlands. Aber in seinem Restaurant hängt Müll, und das stört mich.
Also, nicht etwa schlechte Kunst sondern wirklich Müll – ein riesiges Gemälde mit Mülltüten*.
Und ich denke, Möbel, Gegenstände und ganz besonders Bilder die uns umgeben haben einen starken Einfluss auf uns, ganz unbewusst.
Ganz bewusst beeinflusste das Bild zumindest mich. Denn das Bild ist so gut, dass man die Mülltüten geradezu riechen kann! Aber will ich das, wenn ich gerade dabei bin die spannendsten und neuesten asiatischen Kreationen des Meisters zu genießen?
Ich weiß, Tim Raue hat das Bild ganz sicher ganz bewusst hin hängen lassen. Denn seine Marke lebt (sehr glaubwürdig) von seiner harschen Herkunft, über die er in vielen Interviews und in seinem Buch** spricht. Ihm ist das Edle, Elegante der High End-Restaurants nicht geheuer.
Vermutlich deshalb lässt er beispielsweise auch besonders betonen, dass er aus dem noblen Adlon Hotel nach Kreuzberg gezogen sei. Da hatte ich mir vorgestellt, so richtig auf dem Kiez, welch ein reizvoller Kontrast zu einem Edel-Restaurant!
Aber weit gefehlt! Die nüchternen Restaurant-Räume von Tim Raue befinden sich ganz am quasi rechnerischen Anfang von Kreuzberg, also de facto fast auf dem hinreichend edlen Gendarmen-Markt, Touristenbusse fahren vorbei und schauen ins Restaurant hinab.
All diese Widersprüche können cool und witzig wirken, aber die Mülltüten? Unser Gehirn funktioniert nun einmal so, dass es Erfahrungen verbindet wenn es sie gleichzeitig erlebt. Warum den Geruch von übel riechendem Müll gleichzeitig mit Köstlichkeiten auf dem Teller beim Gast heraufbeschwören? Das beeinträchtigt doch seinen Genuss und damit letztlich den Erfolg des Restaurants, oder? Oder gilt: nur die Harten kommen in den Garten?
Beobachtet ihr manchmal auch so etwas?
Ich bin da jedenfalls nicht so hart und während ich die spannenden Kreationen von Tim Raue kostete tat ich, was wir im Leben tatsächlich so häufig tun, nämlich – wie Thies Stahl, ein bekannter Therapeut zu sagen pflegt – "halluzinierte mir das Bild weg", oder schaute wenigstens daran vorbei…
*Von Harald Herrmann: "Italienisches Stillleben“
**Tim Raue: “Ich weiß, was Hunger ist (Von der Straßengang in die Sterneküche)“
(Foto: Website Tim Raue)
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