Freitag, 22. Juli 2011

Karl Lagerfeld

Was viele nicht wissen: Er dürfte eine der spannendsten Persönlichkeiten unserer Zeit sein.
Was die meisten durchaus wissen: Er ist im Augenblick überall: Werbungen für Cola Light, Schwarzkopf, VW, Sky, und vermutlich noch einige mehr, er ist laut Statistiken der bekannteste Deutsche in Deutschland, jeder erkennt sein Scherenschnitt-Profil jederzeit. Aber seine Persönlichkeit bleibt ein Geheimnis.

Er könnte der belesenste Deutsche sein. Jeden Abend bis in die Nacht verbringt er lesend, seine Wohnung (viele 100 m² in Paris) ist voller Bücher (auf allen verfügbaren Flächen, Fußböden, Betten, und: quergestapelt, so dass man die Titel lesen kann). Er bringt Bücher vergessener Autoren heraus, illustriert sie und hat die Designer-Eröffnet-Buchladen-Ära ausgelöst. Sogar ein Buch-Duft-Parfum herausgebracht.

Er könnte mit Leichtigkeit der kreativste (jedenfalls: lebende) Deutsche sein: Seine Mode für Chanel erstaunt immer wieder (außer: die aktuelle Haute Couture Kollektion, von der distanziere ich mich!).

Vor allem aber überrascht er mit einer Eigenständigkeit und inneren Autonomie, die selten geworden ist. In seinen provokanten Interviews kann man einiges erfahren:

Über Kreativität kann man von ihm natürlich Einiges lernen, denn er ist durch viele Helfer entlastet von den "weltlichen" Verrichtungen und lebt seine Kreativität tatsächlich völlig aus: zeichnet, liest und denkt wo er steht und geht. Von ihm also kann man zum Beispiel hören, dass man erstmal viel lesen und in sich aufnehmen muss, bevor man etwas Neues auf die Welt bringen kann. Aber auch, dass Kreativität nicht in jedem schlummert, sondern es nur wenige wirklich kreative Menschen gibt (das wäre doch mal ein Anlass für eine Blog-Diskussion!).

Über Freundschaften sagt er, er möchte nicht nur ein Freund sein für schlechte (!) Zeiten! Sondern auch an den guten Zeiten beteiligt sein, an dem Alltäglichen und den Erfolgen. Und über Freundschaften solle ein Damoklesschwert hängen, niemand sollte sich zu sicher sein, sondern immer aufmerksam sein für das Spiel zwischen Nähe und Abstand.

Den kleinen Prinzen vom Saint Exupéry bezeichnet er als das lächerlichste Kinderbuch überhaupt (obwohl er ausdrücklich weiß, dass es (nicht nur in Deutschland) wie eine Bibel behandelt wird.

Er pendelt zwischen vier Wohnungen und ist ein professioneller Koffer-Packen-(Lassen)-Organisator. Für ein verlängertes Wochenende hat er locker 15 Koffer dabei (wofür ich volles Verständnis habe!). Nicht zuletzt um jedes Hotelzimmer sofort in sein Atelier verwandeln zu können, nimmt er eben alles mit: eine Auswahl an Büchern natürlich, aber auch 100 iPods mit seinen Lieblingssongs.

Und er lebt ein völlig exzentrisches Leben: er muss noch nicht einmal eine Tür selber öffnen, in seinen Koffern ist auch immer ein Toaster dabei (weil er manchmal nachts Lust auf ein Vollkorntoast hat), seine Sonnenbrille, die er nie abnimmt, um sich nicht in das Verletzliche in seinen Augen blicken zu lassen, ist nun wirklich sehr berühmt.

Wer kurze Augenblicke von Karl Lagerfeld ohne Sonnenbrille erhaschen will, sehen möchte wie er mit seinen Teams zusammenarbeitet und feiert, dem empfehle ich dringend den Film „Lagerfeld Confidential“ (DVD).
Und jeder kann dort nachschauen, ob der Film für ihn den folgenden Widerspruch auflöst: dafür, dass Lagerfeld dort sehr berührend und für mich glaubhaft versichert, öffentliches Zurschaustellen von Wohltätigkeit zum Beispiel zu verabscheuen und sich selbst nicht sehr ernst nehmen zu wollen, oder gar über sein Vermächtnis oder Ähnliches nachzudenken, ist er im Augenblick in den Werbe-Medien weltweit omnipräsent! Ist er etwa doch der Versuchung seines Ruhms erlegen? Jedenfalls deutet er im Film an, wie spielerisch er es sieht mit all seinen Auftritten.

Vielleicht ist eben einfach nur eine neue kreative Lagerfeld-Ära angebrochen…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen